Ein zentrales Thema meiner aktuellen Forschung ist die Geschichte der sowjetischen Praktiken des Kriegsgedenkens, insbesondere – aber nicht nur – im Zusammenhang mit dem als Tag des Sieges begangenen 9. Mai. Den Anstoß dafür gaben meine Recherchen zur Geschichte der sowjetischen Kriegsdenkmäler. In den Archiven stieß ich immer wieder auf schriftliche und visuelle Quellen zu Gedenkpraktiken in den 1940er und 1950er Jahren, die der weit verbreiteten Überzeugung widersprachen, Stalin habe den Tag des Sieges im Jahr 1947 abgeschafft und es habe in der Sowjetunion anschließend bis 1965 kein staatlich sanktioniertes Gedenken an den Zweiten Weltkrieg (bzw. den Großen Vaterländischen Krieg) gegeben. Ich begann, mich anhand von Quellen aus Russland, der Ukraine und Belarus mit der Geschichte dieses Kriegsgedenkens zu beschäftigen: Unterlagen aus staatlichen Archiven, eine eigens angelegte Sammlung von Zeitungsartikeln in verschiedenen Sprachen aus der regionalen Presse dieser drei Republiken sowie Ego-Dokumente (Tagebücher, Memoiren, Briefe). Derzeit arbeite ich an einem Buch auf Englisch, das die Entwicklung des Siegestages von den Anfängen bis in die Gegenwart nachzeichnet. Angelegt ist es als eine Art Begleitband zu meinem ebenfalls in Arbeit befindlichen Buch zur Geschichte der sowjetischen Kriegsdenkmäler. Auf der theoretischen Ebene interessieren mich hier insbesondere die performativen Aspekte des Gedenkens und die Materialität von Kriegsdenkmälern (der Hardware der Erinnerung, nach dem Ausdruck von Alexander Etkind) im Gegensatz zum Narrativ der Erinnerung, auf das sich die Forschung sonst meistens konzentriert.
Die bislang detaillierteste Darstellung meiner Forschung zu diesem Thema findet sich in einem ausführlichen Aufsatz in einem englischsprachigen Sammelband; eine deutsche Fassung, die etwas andere Akzente setzt, ist im Erscheinen. Auf dieser Seite habe ich meine weiteren Publikationen sowie Audio- und Video-Auftritte auf verschiedenen Sprachen zur Geschichte des Kriegsgedenkens zusammengestellt. Die Liste überschneidet sich zum Teil mit der umfangreicheren Biblio- und Videographie zur Soziologie des Kriegsgedenkens, da ich in vielen Texten, Vorträgen und Interviews beides zusammen bespreche.
Für die Unterstützung meiner Forschung zur Geschichte der sowjetischen Gedenkpraktiken danke ich dem Hamburger Institut für Sozialforschung, der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, dem Deutschen Historischen Institut Moskau, der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission und dem Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst.
Aufsätze
- „Victory Day before the Cult: War Commemoration in the USSR, 1945-65″ . In: David L. Hoffmann (ed.): The Memory of the Second World War in Soviet and Post-Soviet Russia. Abingdon: Routledge, 2021. P. 64-85.
- « Le 8/9 mai ». In: Korine Amacher, Eric Aunoble, Andrii Portnov (dir.), Histoire partagée, mémoires divisées. Ukraine, Russie, Pologne. Lausanne : Editions Antipodes, 2021. P. 195-208.
- Russland und der Tag des Sieges“. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.5.2020.
- . « Le 9 mai, Jour de la Victoire. Transformations d’une fête soviétique ». Politika.io. 9.5.2020.
- Victory Day: The biography of a Soviet holiday. Eurozine. 8.5.2020.
- „Gedenktage und Militärparaden in Russland zum 75. Jubiläum des Kriegsendes: der 9. Mai und der 3. September von 1945 bis 2020“. Erinnerungskulturen. 6.5.2020.
- День Победы: прошлое // Кольта. 6.5.2020.
- „Diesseits der Kremlmauern. Für einen anderen Blick auf die russländische Gesellschaft.“ Mittelweg 36. April/Mai 2017, S. 63-73.
- Памятник и праздник: этнография 9 мая // Неприкосновенный запас. 2015. №101. С. 93-111.
Video und Audio